Besondere Artikel

05.09.2012 - 06.09.2013
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Täter-Opfer Umkehr: http://ruzsicska.lima-city.de/ECHO/ECHO_Missbrauch.pdf
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ECHO 09/2012 CHRONIK http://www.echoonline.at/
Heimerziehung
Dimension nicht begriffen
Weil Heimkinder seinerzeit für geleistete Zwangsarbeit kein Geld verdient haben und auch nicht sozialversichert waren, ruft Landesrat Gerhard Reheis jetzt eilig eine Task Force ins Leben. Dabei ist Reheis bereits seit knapp zwei Jahren

 
Quelle: (©) ECHO
Erster Lohn 1980, angemeldet erstmals 1982: Claudia Kaufmann war, als sie während ihrer Heimzeit bei EGLO-Leuchten arbeitete, nicht sozialversichert



Quelle: (©) ECHO








Der Bericht in der letzten Ausgabe von ECHO hat wie erwartet große Wellen geschlagen. Berichtet wurde von der heute 69-jährigen Heike K., die als junges Mädchen im Erziehungsheim St. Martin in Schwaz untergebracht war und dort unsägliches Leid erfahren hat. Ein Schicksal, das sie mit hunderten, ja tausenden anderen Heimkindern geteilt hat. Und trotzdem ist der Fall Heike K. etwas ganz Besonderes. Als erstes Heimopfer in Österreich ist die heute in Deutschland lebende Frau nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) entschädigt worden und bezieht bereits eine Rente, mit der sie ein Leben abseits von Armut führen kann.
Wobei es sich im Fall Heike K. nicht um eine Rente im herkömmlichen Sinn handelt, sondern um eine Ersatzleistung infolge Verdienstentgangs. Das Bundessozialamt hat in seinem Bescheid festgehalten, dass die Straftaten, die Heike K. seit ihrem 12. Lebensjahr erdulden musste, ihre Erwerbsfähigkeit gemindert haben. Durch schwerste körperliche Arbeiten in St. Martin hat Heike K. schon als junges Mädchen einen ersten Bandscheibenvorfall erlitten, eine Schädigung, die sie ihr ganzes Leben begleitet hat. Darüber hinaus ist Heike K. in St. Martin vielfach sexuelle Gewalt angetan worden, woraus einige Jahre später ein Selbstmordversuch resultierte, der Heike K. endgültig erwerbsunfähig gemacht hat.
Diese gesundheitlichen Schädigungen bewertete das Bundessozialamt als verbrechenskausal und stufte den Verdienstentgang von Heike K. so ein, als hätte sie als Verwaltungsbedienstete 43 Jahre, elf Monate und 24 Tage lang gearbeitet und damit den gesetzlichen Pensionsantritt erreicht.
In den zahlreichen Internet-Foren, in welchen sich die Betroffenen der Heimerziehung längst vernetzt haben, wurde der ECHO-Beitrag ebenfalls heftig diskutiert und Christian Sailer, der deutsche Anwalt von Heike K., der den Bescheid des Bundessozialamts erstritten hat, kann sich vor Anfragen ehemaliger Heimkinder kaum mehr wehren. Am Telefon meint der 76-jährige Sailer: „Meinen Ruhestand kann ich jetzt wohl vergessen. Es haben sich durch Ihren Bericht viele Betroffene bei mir gemeldet, davon sehr viele auch aus Österreich. Bei einigen habe ich mich schon entschieden, dass ich sie juristisch begleiten und vor Gericht vertreten werde.“
Es ehrt Christian Sailer ganz besonders, dass er nicht weiter darüber reden will, dass er für seine Tätigkeit von den Betroffenen kein Geld fordert. Erst auf Nachfrage lässt ersich entlocken, dass er in seiner Zeit als Münchener Anwalt gut verdient habe und Geld nicht alles sei.
Claudia Kaufmann war als Mädchen ebenfalls in St. Martin untergebracht. Vorher ist sie im Kinderheim in Scharnitz, wie sie heute sagt, „durch die Hölle auf Erden gegangen“. Kaufmann ist zwar bereits von Land und katholischer Kirche „entschädigt“ worden. Doch das Wort „entschädigt“ steht in diesem Zusammenhang nicht zufällig in Anführungszeichen. Weder vom Land noch von der Klasnic-Kommission ist Kaufmann die höchstmögliche Entschädigung zugesprochen worden. Ein Umstand, der sie empört: „Vielfache Vergewaltigung durch kirchliche Würdenträger und Nonnen ist der Klasnic-Kommission offenbar nichts wert. Ich meine, was hätte ich denn noch alles durchmachen müssen?“
Jetzt reicht es Kaufmann und über Anwalt Sailer hat sie einen Antrag eingereicht und zwar auf Ersatzleistung für Verdienstentgang nach dem Verbrechensopfergesetz. Darin listet Sailer auf, was seiner Klientin als Kind und Jugendlicher widerfahren ist. ECHO liegt dieses Schriftstück vor, daraus auch nur einzelne Passagen zu zitieren, kann einer breiteren Leserschaft schlicht und einfach nicht zugemutet werden.
Walter Guggenberger, Leiter der Tiroler Geschäftsstelle des Bundessozialamts, kennt mittlerweile einige Schicksale von ehemaligen Heimkindern. Im ECHO-Interview (siehe nächste Seite) sagt er: „Was den Kindern in unseren Heimen und in den Heimen der Kirche angetan wurde, ist ja unfassbar. Das ist fern jeder Vorstellungskraft. Dass das den Kindern in der Obhut des Landes beziehungsweise in der Obhut der Kirche oder der Gemeinden passiert ist, erschüttert jeden.“
Seit dem ECHO-Bericht über die Entschädigung von Heike K. nach dem Verbrechensopfergesetz sieht sich das Bundessozialamt mit einem regelrechten Ansturm von ehemaligen Heimkindern konfrontiert. Natürlich werden nicht alle eine Entschädigung nach dem Verbrechensopfergesetz zugesprochen bekommen, zu unterschiedlich sind die jeweiligen Biografien der Betroffenen. Trotzdem sollte niemand den Weg zum Bundessozialamt scheuen, denn Walter Guggenberger stellt ganz klar fest: „Die öffentliche Hand hat allen Grund dazu, unbürokratisch und angemessen Entschädigung zu leisten. EineEinmalzahlung, wie es das Land und auch die Kirche gemacht haben, kann ohnehin nur eine symbolische Entschuldigung darstellen.“
Trotzdem glaubt man im Land und da vor allem im Büro von SPÖ-Soziallandesrat Gerhard Reheis, dass mit Einmalzahlungen an die Opfer alles getan sei. Am Beispiel von Heike K. zeigt sich diese Einstellung ganz deutlich: Vom Land Tirol ist die Frau mit ganzen 15.000 Euro entschädigt worden. 15.000 Euro für serienweise erfolgte Vergewaltigungen, für schwerste körperliche Misshandlungen mit lebenslangen Schädigungen, für Zwangsarbeit und unzählige Demütigungen.
Noch einmal: Das Bundessozialamt, dass sämtliche Gutachten der Heike K. genau geprüft hat, ist letztlich zum Schluss gekommen, dass die Frau wegen der erlittenen Qualen in St. Martin nicht in der Lage war, in ein normales Leben zu finden. Die Kommission des Landes Tirol hingegen, der ebenfalls sämtliche Gutachten vorgelegen sind, ist der Meinung, 15.000 Euro müssen genügen und haben das Frau Heike K. auch so mitgeteilt.
Darüber hinaus beruft man sich im Büro Reheis auf die von Heike K. unterzeichnete Verzichtserklärung, in welcher sie die 15.000 Euro als „Pauschalabgeltung“ annimmt. Dabei weiß man auch im Land, dass einederartige Verzichtserklärung mit höchster Wahrscheinlichkeit sittenwidrig ist, weil damit die finanzielle Notlage der Betroffenen ausgenützt wird. Es ist bezeichnend, dass Gerhard Reheis eine dementsprechende Frage im ECHO-Interview unbeantwortet lässt.
Dabei sollte sich die Tiroler SPÖ um einen möglichst verantwortungsvollen Umgang mit den Opfern der Tiroler Heimerziehung bemühen, ist doch die Solidarität mit den Schwächsten unserer Gesellschaft eines der sozialdemokratischen Kernthemen. Was in der Diskussion oft vergessen wird: Seit dem Jahr 1945 ist es die SPÖ, die in Tirol ohne Unterbrechung für die Belange der Jugendwohlfahrt und damit auch für die Heimerziehung politisch verantwortlich ist. Alles, was den Kindern in den Heimen angetan worden ist, geschah unter den Augen der dafür verantwortlichen Sozialdemokraten. Es ist die SPÖ Tirol, die sich heute fragen lassen muss, wo denn über all die Jahrzehnte die Kontrolle in den Heimen geblieben ist. Es ist die SPÖ Tirol, die jene Presseberichte ignoriert hat, die schon vor dreißig und mehr Jahren an die Öffentlichkeit geraten sind und über die unsäglichen Zustände in den Heimen berichtet haben. Und es ist die SPÖ Tirol, die sich auch heute noch viel zu wenig mit der Dimension der Verbrechen in den Heimen und deren dramatischen Folgen für die Betroffenen auseinandersetzt und stattdessen den Opfern lieber zweifelhafte Briefe schreibt.
Eiertanz um Entschädigungen.
Seit März 2010 berichtet ECHO über das dunkle Kapitel der Tiroler Heimerziehung und hat bisher rund zwanzig Artikel darüber verfasst. Die politisch Verantwortlichen haben darauf vorerst einmal überhaupt nicht und dann, mit einiger Verspätung und unter ständig zunehmendem öffentlichem Druck, halbherzig reagiert. Als Erstes wurde eine Opferschutzkommission eingerichtet, die unter anderem mit dem Historiker Horst Schreiber, dem Rechtsexperten Heinz Barta, der Grande Dame der Tiroler Sozialarbeit, Waltraud Kreidl, und dem Vorstand der Gruppe Gesundheit und Soziales, Dietmar Schennach, besetzt war. Diese erste Kommission hat in ihrem vielbeachteten Endbericht Punkt für Punkt aufgelistet, wie das Land mit den Betroffenen der Heimerziehung umgehen soll und gibt weiters Empfehlungen hinsichtlichhistorischer Aufarbeitung und zukünftiger Prävention. Zudem wurde als „finanzielle Geste“ für die Opfer ein Rahmen von 15.000 bis 25.000 Euro abgesteckt. Zusatz: im Einzelfall auch darüber hinaus.
Das Land bedankte sich bei der Präsentation bei den Mitgliedern der Kommission für ihre wertvolle Arbeit und löste die Gruppe umgehend auf, ohne Schreiber, Barta und Co näher darüber zu informieren. Ausschlaggebender Grund dafür war, dass sich Reheis und Landeshauptmann Günther Platter darüber verständigt hatten, dass sich Tirol lieber am „Entschädigungsmodell“ der Klasnic-Kommission orientieren werde. Das sieht bei den „Entschädigungen“ einen finanziellen Rahmen von 5000 bis 15.000 Euro vor. Allein schon dadurch hat sich also eine ganze Menge Geld sparen lassen.
Zeitgleich wurde eine neue Kommission gegründet, unter anderem mit dem Leiter des Psychiatrischen Krankenhauses Hall, Christian Haring, welche die Höhe der „Entschädigungszahlungen“ festlegte. Für zahlreiche Betroffene war das eine völlig unverständliche Maßnahme, zumal sie in den Historiker Schreiber und in den Juristen Barta größtes Vertrauen haben, mit Psychiatern hingegen meist nur schlechte Erfahrungen verbinden.
Dieses Misstrauen scheint nicht ganz ungerechtfertigt zu sein, denn bei den „Entschädigungen“ ist es zu einem regelrechten Eiertanz um jeden Euro gegangen. Einer der Betroffenen hat das ECHO gegenüber so auf den Punkt gebracht: „Sie geben jedem vorerst einmal 5000 Euro. Wenn du dich darüber beschwerst, kriegst du das Doppelte. Und wenn du es mit deiner Geschichte in die Presse schaffst und Aufmerksamkeit kriegst, dann ist auch das Dreifache und sogar noch mehr drin.“ Zynische Fantasien eines Enttäuschten?
Vor einigen Wochen konfrontierte ECHO Christian Haring mit dem Vorwurf, er hätte Antragsteller auf „Entschädigung“ abgelehnt, ohne mit den Betroffenen je gesprochen zu haben. Harings Erklärung: „Sie mögen bitte verstehen, dass es der Kommission schwer gefallen wäre, mit zirka dreihundert Betroffenen zu sprechen, denn so viele Fälle haben wir bisher behandelt.“
Wie sich ein Betroffener angesichts derartiger Aussagen fühlt, schildert Christian Deflorian. Er ist als Jugendlicher im Innsbrucker Privatheim „Pflegenest“ jahrelang vom Heimbetreiber vergewaltigt worden und hat – wie auch mehrere andere Opfer des Pflegenests – bislang keinerlei Entschädigung dafür erhalten. Und das, obwohl Landeshauptmann Platter am Hohen Frauentag 2011 in seiner Rede versprochen hatte, dass auch die Opfer privater Heime Anträge auf Entschädigung stellen dürfen und er sich höchstpersönlich dafür einsetzen werde, dass niemand ungleich behandelt werde. Leere Worte, wie sich herausgestellt hat, denn ohne Angabe von Gründen wurde Deflorians Antrag abgelehnt.
Beim diesjährigen Hohen Frauentag hat Christian Deflorian den Landeshauptmann mit einem Plakat an das gebrochene Versprechen  erinnert. Aber Platter hatte nicht den Mut, zumindest einige Worte mit ihm zu wechseln. Dafür ist Platter die Ehrenformationen im absoluten Höchsttempo abgelaufen, damit es nur ja nicht zu einem Bild kommt, das ihn gemeinsam mit dem demonstrierenden Verbrechensopfer zeigt. Inzwischen hat auch Deflorian einen Antrag auf Entschädigung durch das Bundessozialamt eingereicht, auch er wird von Anwalt Christian Sailer vertreten. Darüber hinaus wird noch geprüft, ob er auch eine Amtshaftungsklage gegen das Land einreichen wird, wegen Verletzung der Aufsichtspflicht.
Seit wenigen Tagen gibt es erneut eine Kommission, wieder ins Leben gerufen von Gerhard Reheis. Schon die Tatsache, dass diese Kommission martialisch „Task Force“ genannt wird, zeigt, dass plötzlich wirklich Feuer am Dach ist. Und diesmal sind die Hauptbetroffenen gar nicht die Heimkinder selber.
Die Image-Katastrophe. Bereits vor über zwölf Jahren hat ECHO das Thema „Zwangsarbeit
in namhaften Tiroler Unternehmen“ zur Titelgeschichte gemacht. Was damals
noch nicht bekannt war: ab Mitte der 1950er Jahre bis hinein in die frühen 1980er Jahre
sind unzählige Heimkinder in die unterschiedlichsten Tiroler Unternehmen zur
Arbeit geschickt worden. Betroffen waren vor allem die Erziehungsheime für schulentlassene Mädchen und Knaben, also etwa St. Martin und Kleinvolderberg. Wie die vorliegenden Akten belegen, hat diese zwangsverpflichtete Arbeit systematisch stattgefunden und sie wird heute noch als Vorbereitung der Jugendlichen auf den Arbeitsalltag dargestellt.
So steht es zumindest in einer Aussendung der Landesregierung vom 23. August dieses
Jahres. Damit steht aber auch fest, für welche Bereiche des „Arbeitsalltags“ die in den Heimen untergebrachten Jugendlichen vorgesehen waren: primitive Hilfsarbeiten erledigen, monotone Fließbandarbeit ausführen sowie putzen, bügeln, Wäsche waschen. Wie alle damals betroffenen Heimkinder heute übereinstimmend aussagen, haben sie für die damalige Arbeit kein Geld erhalten und wären auch nicht sozialversichert gewesen, was sich natürlich heute negativ auf die Versicherungszeiten auswirkt.
Und weil die Opfer heute endlich eine Öffentlichkeit haben, waren auch schnell die Namen jener Firmen bekannt, die sich seinerzeit in Kooperation mit der jeweiligen Heimleitung billigste Arbeitskräfte besorgt hatten: Swarovski, Darbo, EGLO-Leuchten, das österreichische Bundesheer, Geiger Moden oder das Krankenhaus Schwaz, um nur einige davon zu nennen. Das hat die internationale Medienwelt natürlich fasziniert und man konnte die Berichte über die zwangsarbeitenden und dafür nicht entlohnten Heimkinder
in über dreißig verschiedenen in- und ausländischen Medien nachlesen.
Und weil die genannten Unternehmen – offenbar im Gegensatz zur Tiroler Politik
– einen Ruf zu verlieren haben, war rasches Handeln angesagt: Swarovski wird eine Historikerkommission beauftragen, das Kapitel mit den zwangsverpflichteten Heimkindern aufzuarbeiten. Das Bundesheer hat eigens eine Hotline eingerichtet, auch weil Vergewaltigungsvorwürfe im Raum stehen. Und auch die anderen Unternehmen reagierten prompt: EGLO-Gründer Ludwig Obwieser verbrachte nach den ersten Pressemeldungen tagelang im Archiv, um die Angaben von ehemaligen Heimkindern zu überprüfen. Tatsächlich konnte er Überweisungsbelege seines Unternehmens an die Heimleitung St. Martin ausheben.
Deutlich ist darauf der Name Claudia Kaufmann, der Betrag und das Datum erkennbar
(siehe Faksimile). Dass Obwieser diese Belege heute als Beweis dafür ansieht,
man habe seinerzeit völlig korrekt gehandelt, stößt nicht nur Claudia Kaufmann sauer auf.
Historiker Horst Schreiber meint dazu: „Also bitte, das ist schon auch scheinheilig. Klarwurde der Lohn bezahlt. Aber diese Firmen haben sich die Burschen und Mädchen aus den Heimen ganz bewusst ausgesucht, weil sie keine Sozialversicherung zahlen wollten.“
Tatsächlich zeigt der Versicherungszeitennachweis von Claudia Kaufmann, die während ihrer Zeit in St. Martin 1980 bei EGLO-Leuchten arbeitete (siehe Faksimile Lohn November 1980), dass sie in ihr erstes versichertes Arbeitsverhältnis erst zwei Jahre später eingetreten ist (siehe Faksimile Beitragsgrundlagen).
Ein weiteres Unternehmen, das sich an den billigen Arbeitskräften aus St. Martin bedient
hat, ist Geiger Moden in Schwaz, heute etwas cooler „Geiger fashion“ genannt. Firmenchef Hansjörg Geiger zeigt sich auf ECHO-Anfrage ebenfalls „cool“: „Das interessiert mich alles nicht, was wollen Sie denn überhaupt? Das ist ja ewig her und ich muss Belege nur sieben Jahre aufbewahren. Auf Wiedersehen.“ Ob er sich da nicht besser mit jemandem aus seiner Marketingabteilung abgesprochen hätte? Am Erstaunlichsten ist jedenfalls die Reaktion des Marmeladen- und Fruchtsafterzeugers Darbo. Martin Darbo zeigte sich über die
Vorwürfe tief erschüttert und hat sofort die Initiative übernommen. Er nahm, gemeinsam mit seinem Bruder, mit den damaligen als Hilfsarbeiterinnen beschäftigten Heimbewohnerinnen Kontakt auf und hat sofort persönliche Gespräche mit ihnen geführt. Christine J. wurde von den Brüdern Darbo sogar zu Hause besucht: „Zwei so nette Burschen. Sie haben sich entschuldigt. Ich hab‘ gesagt, warum denn? Ich war ja total gerne bei euch unten. Klar hab ich kein Geld dafür bekommen, aber da könnt‘s ja ihr nichts dafür.“
Trotzdem hat Darbo beschlossen, den ehemaligen Heimkindern ihren damals vorenthaltenen Lohn ein zweites Mal auszubezahlen – nach heutigem Lohnniveau, versteht sich. Landesrat Reheis reagierte auf die drohende Image-Katastrophe der Unternehmen vorerst so, wie er es in der ganzen „Causa Heimerziehung“ immer getan hat: Er zeigte sich wieder einmal tief erschüttert, setzte besagte „Task-Force“ ein und mimte ansonsten den Unwissenden. Dabei konnte jeder, der wollte, bereits im Herbst 2010 in Horst Schreibers Buch „Im Namen der Ordnung“ nachlesen, dass es Zwangsarbeit von Heimkindern bei Swarovski gegeben hat. Und schon seit zwei Jahren weiß Reheis ganz genau, dass die Mädchen damals trotz Berufstätigkeit nicht versichert gewesen sind. Das beweist ein Schreiben von Sozialminister Rudolf Hundstorfer vom Dezember 2010 (siehe Faksimile, Seite 57), in welchem es um die nicht sozialversicherten Heimkinder geht.

Quelle: (©) ECHO
 Schon im Dezember 2010 schrieb Minister Hundstorfer an LR Reheis über die Nicht-Versicherung





In dem Brief wird geraten, das Land möge die Ex-Zöglinge beim Nachkauf von Versicherungszeiten unterstützen. Unschwer zu erraten, dass im Büro Reheis niemand auf die Idee gekommen ist, die um ihre Versicherungszeiten betrogenen Zwangsarbeitsverpflichteten über diese Möglichkeit zu informieren. Dazu passt auch, dass es Journalisten waren, die den Opfern den Weg zum Bundessozialamt aufzeigten, damit sie dort nach dem Verbrechensopfergesetz einen Verdienstentgang beantragen könnten.
Und diesen Weg werden viele gehen. Ulrike Paul ist Psychotherapeutin in Innsbruck und betreut seit Jahren Opfer der Heimerziehung. Sie kennt die wahre Dimension des Verbrechens:
„Mir ist kein einziger Geschädigter der Heimerziehung bekannt, dem es nach der
Entlassung gelungen wäre, in ein einigermaßen stabiles, geregeltes und erfülltes Leben zu finden. Bei allen Betroffenen, die die von mir geleitete Gruppe bislang besucht haben, insgesamt sind es annähernd 30 Personen, liegt eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit vor, die sich meines Erachtens auf die in den Heimen erlebte Gewalt zurückführen lässt. Keinem dieser Betroffenen war es möglich, in eine reguläre Pension einzutreten.“ Den gestaffelten Entschädigungsleistungen steht Ulrike Paul äußerst skeptisch gegenüber: „Die Erfahrung, dass die erlittenen Qualen keine ausreichende Anerkennung erfahren, hat bisweilen sogar eine retraumatisierende Wirkung auf die Opfer. Ich sage ganz deutlich:
Alle meine Klienten und Klientinnen hätten die höchste Entschädigung verdient.“
In wenigen Tagen wird Gerhard Reheis Parteivorsitzender der Tiroler SPÖ. Seinen eigenen
Aussagen nach repräsentiert er das soziale Gewissen Tirols. Gerade die seit Jahren laufende Debatte über gerechte Entschädigung der Heimopfer wäre die ideale Gelegenheit
für Reheis gewesen, dieses soziale Gewissen auch deutlich zu zeigen. Doch stattdessen
agiert Reheis so, dass sein Handeln bedauerlicherweise nur einen Schluss zulässt: Er hat
die Dimension des Verbrechens, das im Rahmen der Tiroler Heimerziehung an tausenden
Kindern begangen worden ist, immer noch nicht begriffen. Gernot Zimmermann

Die Reaktion der Unternehmen
· Swarovski hat umgehend eine Historikerkommission beauftragt, um die Vorwürfe
unbezahlter Zwangsarbeit zu untersuchen.
· EGLO konnte Lohnzahlungen an die Heimleitung in St. Martin belegen und sieht das
als Beweis, nichts falsch gemacht zu haben.
· Darbo zeigte sich großzügig und wird den damaligen Hilfsarbeiterinnen aus St. Martin
den ihnen vorenthaltenen Lohn noch einmal zahlen. Wie Martin Darbo ankündigte,
wird man versuchen, sich dieses Geld von den damals Verantwortlichen zurückzuholen.
· Geiger Moden (heute Geiger fashion) zeigt sich an Aufklärung desinteressiert und ist
zu Gesprächen nicht bereit.
· Das Österreichische Bundesheer, das über Jahre hinweg in St. Martin waschen und bügeln ließ, hat eine eigene Hotline eingerichtet. Wie mit den Vorwürfen letztlich umgegangen wird, steht aber noch nicht fest.
· Zahlreiche weitere Unternehmen gibt es mittlerweile nicht mehr. Hier soll die eben neu gegründete „Task Force“ Licht ins Dunkel bringen.

„Das ist ja alles unfassbar“
Walter Guggenberger vom Tiroler Bundessozialamt zeigt sich tief erschüttert über die Schicksale ehemaliger Heimkinder.
ECHO: Haben sich seit dem ECHO-Bericht über den Fall Heike K. weitere Opfer der Heimerziehung gemeldet?
Walter Guggenberger: Wir haben praktisch jeden Tag neue Anfragen. Mittlerweile sind es über zwanzig. Wir gehen aber davon aus, dass es noch mehr werden. Wobei es dabei nicht nur um die Frage nach Entschädigung für Verdienstentgang nach dem Verbrechensopfergesetz geht, sondern auch um Anträge auf Psychotherapie.
ECHO: Die Betroffenen müssen natürlich ihr Schicksal und die daraus resultierenden Schädigungen auch belegen können. Wie kann das gelingen?
Guggenberger: Alle bisherigen Antragsteller waren vorher bereits bei der Opferschutzkommission und verfügen dementsprechend bereits über Unterlagen. Diese sind zu uns mitzubringen, ansonsten nehmen wir von uns aus die Ermittlungen auf. Und natürlich haben wir dann unsere eigenen ärztlichen Sachverständigen, die zur Plausibilität der Angaben Stellung nehmen.
ECHO: Haben Sie sich bereits die einzelnen Biografien der Betroffenen angeschaut und was sagen Sie dazu?
Guggenberger: Ich habe mir die Lebensgeschichten natürlich angeschaut und ich bin erschüttert und fassungslos, was den Heimkindern in der Obhut staatlicher oder kirchlicher Stellen angetan worden ist. Das übersteigt jede Vorstellungskraft, das sind unfassbare Schilderungen und da kann man sich wirklich nur noch mit Grauen abwenden. Die öffentliche Hand hat meiner Meinung nach allen Grund dazu, den Opfern unbürokratisch und angemessen Entschädigung zu leisten.
ECHO: Warum haben eigentlich Journalisten darauf aufmerksam machen müssen, dass ehemalige Heimkinder eine Entschädigung nach dem Verbrechensopfergesetz beantragen könnten?
Guggenberger: Für uns ist das alles völlig neu. Wir vom Bundessozialamt haben uns darauf konzentriert, die Kosten von Psychotherapien zu übernehmen, falls das Land oder die Kirche diese den Opfern nicht mehr bezahlt. Wir wären wirklich nicht auf die Idee gekommen, dass es das Verbrechensopfergesetz ermöglicht, dass die Betroffenen einen Verdienstentgang geltend machen können.
ECHO: Und wie bewerten Sie das jetzt?
Guggenberger: Das Ganze ist für mich überraschend gekommen, nicht nur für mich, sondern für alle von uns. Ich sehe im Ersatz für Verdienstentgang eine wirkliche Möglichkeit, den Opfern nachhaltig zu helfen. Was wir aber sicher nicht gewusst haben, ist die Dimension der Verbrechen. Dass so viel menschliche Niedertracht überhaupt möglich ist, kann sich eigentlich niemand richtig vorstellen.
Interview: Gernot Zimmermann

ECHO berichtet seit Jahren über Zwangsarbeitund Heim-Terror http://www.echoonline.at/


ECHO 09/2012 CHRONIK http://www.echoonline.at/
Heimerziehung 
Nehmen ist seliger denn geben
Der unseligen Geschichte der Tiroler Heimerziehung ist ein weiteres Kapitel hinzuzufügen: Die Kapuzinerpater der Bubenburg sollen Patenschaftsgelder ihrer Zöglinge unterschlagen haben.

Man möchte meinen, beim „Seraphischen Liebeswerk der Kapuziner (SLW)“ herrsche Alarmstufe Rot: Der Vorwurf, die Verantwortlichen der Bubenburg in Fügen hätten über Jahrzehnte hinweg die ihnen anvertrauten Heimkinder bestohlen, müsste eigentlich genügen, sich intensiv mit diesen ungeheuerlichen Anschuldigungen auseinanderzusetzen. Doch das Liebeswerk setzt auf eine andere Strategie. Um es mit den Worten eines Betroffenen auszudrücken: „Hinauszögern, verschleppen, verarschen.“ Und tatsächlich ist von der vom Liebeswerk vor zwei Jahren versprochenen „vollen Aufklärung“ wenig bis gar nichts zu sehen. Für eine Organisation wie dem Seraphische Liebeswerk der Kapuziner, unter deren Ägide es in den 1950er- bis hinein in die 1980er-Jahre im Rahmen der Heimerziehung zu allen nur denkbaren Ausformungen menschlicher Niedertracht gekommen ist, dürfte das Thema „gestohlene Patenschaften“ offenbar vernachlässigbar sein. Im Vergleich zu institutionalisiertem und vertuschtem sexuellen Missbrauch von Bubenburg-Zöglingen, von Patern, Nonnen und Präfekten blutig geprügelten und getretenen Heimkinder, neben der rituellen, alltäglichen Demütigung von Bettnässern, da fallen des Diebstahls beschuldigte Kapuziner wohl tatsächlich um einiges weniger ins Gewicht. In diesem Kontext erscheint die Reaktion des Seraphischen Liebeswerks logisch: Die Causa Patenschaften wurde schlicht und einfach ausgelagert und der „Klasnic-Kommission“ überantwortet.
Dort schlummert das Problem nun seit knapp zwei Jahren vor sich hin, eine Entschuldigung oder gar eine finanzielle Entschädigung hat bislang keiner der Betroffenen erhalten.Zum Hintergrund: Erwin Aschenwald war Zögling der Bubenburg und im Herbst 2010 ist ihm bei der Durchsicht seiner Akten aufgefallen, dass sich darin eine Unmenge an Unterlagen befinden, die auf eine rege finanzielle Unterstützung durch Patenschaften hinweisen. Abgewickelt wurden diese Patenschaften damals über den Verein „Rettet das
Kind Österreich“. Im Fall Erwin Aschenwald haben diese finanziellen Zuwendungen an ihn im Jahr 1971 begonnen (andere Kinder hatten bereits Anfang der 1960er Jahre derartige Patenschaften) und sind ohne Unterbrechung zehn Jahre lang bis Juni 1981 weitergelaufen.
Wie Aschenwald heute sagt, hat er von diesem Geld als Kind gar nichts und als Heranwachsender lediglich kleinere Beträge erhalten. Wo ist das Geld also hingekommen? In Aschenwalds Akten findet sich eine ganze Reihe von Belegen, die seine Unterschrift tragen. Für das SLW ist damit klar, dass Aschenwald die Beträge erhalten hat. Schaut man sich diese Belege genauer an, so fällt auf, dass vor die Unterschrift Aschenwalds mit einer anderen Handschrift die Worte „erhalten“ bzw. „dankend erhalten“ beigefügt wurden (siehe Faksimile). 

Quelle: (©) ECHO


Ob er damals gewusst hat, was er da unterschreibt? „Ich kann mich erinnern, dass mir öfters Blanko-Unterschriften abverlangt worden sind. ‚Für das Jugendamt‘, hat es geheißen oder ‚für die Dankschreiben an die lieben Paten‘. Mit irgendwelchen Auszahlungen waren diese Unterschriften jedenfalls nie verbunden, so etwas hätte ich garantiert nicht vergessen.“ Ganz davon abgesehen, die Fotokopie eines Einzahlungsbelegs als Auszahlungsbestätigung zu verbuchen, scheint aus buchhalterischer Sicht fragwürdig zu sein und ist wohl kaum üblich. Es ist zudem geradezu erstaunlich, dass sich in Aschenwalds Jugendfürsorge-Akten kein einziger Hinweis auf derartige Patenschaften befindet. Erstaunlich deshalb, weil die Verwaltung von Mündelgeld eine der Kernaufgaben eines Vormunds ist, in Aschenwalds Fall eben des Amtsvormunds der Jugendfürsorge der Bezirkshauptmannschaft Schwaz. Sind die Gelder aus den Patenschaften also von der Bubenburg am Jugendamt vorbeigeschmuggelt worden? „Ganz klares Ja“, sagt Erwin Aschenwald dazu. „Mein Amtsvormund in Schwaz hatte dazu keinerlei Informationen. Das SLW hat offenbar dafür gesorgt, dass substanzielle Inhalte meines Heimaufenthalts keinerlei Entsprechung in den offiziellen Fürsorge-Akten gefunden haben.“ Resignierender Nachsatz von Aschenwald: „Obwohl, die Erfahrung und intensives Aktenstudium haben mich gelehrt, dass sich mein Amtsvormund so und so nicht um mich gekümmert hat.“ Von ECHO mit den Vorwürfen konfrontiert, fiel die Antwort des Seraphischen Liebeswerks dürftig aus: „Mit uns sind zwei Personen in Kontakt getreten, die über Patenschaftsgelder berichten, die ihnen nach ihrer Aussage nicht widmungsgemäß zugekommen sind“, heißt es da unter anderem, und schon diese Aussage ärgert Erwin Aschenwald: „Unglaublich dass das Seraphische Liebeswerk es nicht schafft, auch nur ein einziges Schreiben zu verfassen, das nicht gespickt ist mit – vorsichtig formuliert – Halbwahrheiten. Es haben sich mehr als nur zwei Personen gemeldet, das lässt sich aufgrund des E-Mail-Verkehrs spielend nachweisen.“ Aschenwald muss es wissen, denn er ist Sprecher der „Gruppe 60/80“, die sich aus ehemaligen Heimkindern der Fügener Bubenburg zusammensetzt. „Ich kenne mittlerweile sehr viele Akten der Betroffenen und kann sagen, dass zumindest jeder zweite Bub aus unserer Gruppe dort eine Patenschaft hatte. Natürlich haben sich die ehemaligen Heimkinder ihre Akten besorgt und die sprechen eine eindeutige Sprache, was die Patenschaften anbelangt. Diese Betroffenen haben sich beim SLW gemeldet, sind aber postwendend an die Klasnic-Kommission weitergeschoben worden.“ Aschenwald fügt noch an: „Vor der Herausgabe hat sich das SLW diese Akten beim Kopieren natürlich genauestens angeschaut, diverse Schwärzungen belegen das. Und somit ist dem SLW sehr wohl die finanzielle Dimension klar, die diese Patenschaften für die Kapuziner-Patres gehabt hat.“
Aschenwald hat bereits im Spätherbst 2010 das Seraphische Liebeswerk mit den Vorwürfen der veruntreuten Patenschaftgelder konfrontiert. SLW-Geschäftsführer Franz Tichy hat daraufhin eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingebracht. Diese – man könnte es auch als eine Art „Selbstanzeige“ bezeichnen – liegt ECHO vor. Auffallend daran ist, dass Franz Tichy der Staatsanwaltschaft den Fall nicht in seiner ganzen Tragweite darstellt. So verkürzt er den Zeitraum der Patenschaften von Herbst 1976 bis zum Jahr 1980, wohl wissend, dass etwa ein Dankschreiben des „Pater-Direktors“ Magnus Kerner „an die lieben Paten“ aus dem Jahr 1974 erhalten geblieben ist. Noch dazu beginnt dieses Schreiben vom 5. August 1974 mit den Worten: „Ihre immer wiederkehrenden finanziellen Unterstützungen für Erwin bedeuten ihm viel mehr als nur eine (...) Aufbesserung seines Taschengeldes ...“
Für Erwin Aschenwald ist dieser Brief ein besonderer Hohn: „Taschengeld, diesen Begriff hat es in der Bubenburg nicht einmal gegeben. Bargeld der Zöglinge wurde als Schwarzgeld bezeichnet und bei Entdeckung sofort eingezogen.“ Daran kann sich auch Peter G. erinnern, der heute in Oberösterreich lebt und bis in die 1970er-Jahre hinein in der Bubenburg untergebracht war: „In meinen Akten finden sich mehrere Listen, die unter dem Titel ‚Zahler: Patenschaften‘ die widmungsgerechte Verwendung des mir zustehenden Geldes beweisen sollen. Wenn ich da unter anderem immer wieder lese: ‚Entnahme für Taschengeld‘, dann kann ich nur lachen. So etwas haben wir in der Bubenburg nicht gekannt. Wenn einer nur zehn Groschen gehabt hat, ist er sofort verdächtigt worden, gestohlen zu haben.“ Auch weitere Einträge zur Verwendung der Patenschaftsgelder machen heute stutzig, etwa mehrmals ein Betrag „20 Schilling für Hosenreinigung“ oder relativ große Summen für Foto-Filme und deren Entwicklung. Darüber kann Peter G. heute nur den Kopf schütteln: „Ich meine, wer hat 1967 die Hose eines Heimkindes in die Reinigung gegeben? Und bitte, was soll das mit den Filmen? Woher hätte ich denn eine Kamera haben sollen?“ Auch in seinem Fall deutet sehr viel darauf hin, dass das von seinen Paten geschickte Geld nicht bei ihm angekommen
ist. Und auch im Fall von Peter G. geht es um beträchtliche Summen. Ein Teil der Aufzeichnungen ist erhalten geblieben und durch die daraus ersichtliche Regelmäßigkeit der Spenden lassen sich Gesamtbeträge relativ leicht hochrechnen.

Peter G. legt ECHO seinen umfangreichen E-Mail-Verkehr mit der Klasnic-Kommission vor. Nach einem geharnischt formulierten Schreiben, in dem er sich wortreich darüber beschwert, seit mittlerweile zwei Jahren nur hingehalten zu werden, erhält er lediglich als Antwort: „Durch Ihre Ausdrucksweise werden wir auch nicht schneller vorankommen.“ Ein weiterer ehemaliger Bubenburg-Bewohner, der über viele Jahre über Patenschaften verfügt hat, ist Herbert P. In seinen Bubenburg-Akten findet sich ein Brief seiner schwedischen Paten-Familie, in welchem diese darauf hinweist, dass sie ihm jeden Monat einen Brief mit beigelegtem 100-Schweden-Kronen-Geldschein geschickt habe. Auch Herbert P. hat dieses Geld nie gesehen und weiß nicht, wo es hingekommen ist. Zudem findet sich auch in seinem Fürsorge-Akt kein einziger Hinweis auf eine Patenschaft. Auch Herbert P. hat bereits vor Monaten seine Forderungen bei der Klasnic-Kommission deponiert, auch er hat seitdem nichts mehr gehört. Seinen Aufenthalt in der Bubenburg hat Herbert P. bis heute nicht überwunden, in Erinnerung geblieben sind ihm die täglichen Schläge der Nonnen, das permanente Demütigen, die Faustschläge und Fußtritte des „Pater Direktors“ und der wie selbstverständlich erfolgte sexuelle Missbrauch. ECHO gegenüber sagt er: „Es ist schwierig, über das Vergangene zu reden. Ich bin jetzt mit meiner Frau schon achtundzwanzig Jahre zusammen und habe drei Kinder, die schon erwachsen sind. Ich habe aber noch nie mit meiner Familie über die Vergangenheit geredet.“
Der Historiker Horst Schreiber, der sich intensiv wie kein anderer im Land mit dem Schicksal der Heimkinder beschäftigt hat, hält die Aussagen der ehemaligen Bubenburg-Bewohner jedenfalls für glaubwürdig : „Alles deutet darauf hin, dass die Kinder bestohlen worden sind, das muss nur noch wissenschaftlich aufgearbeitet werden.“ Diese historische Aufarbeitung wird es wohl nicht geben, zu viel steht dabei für das Seraphische Liebeswerk auf dem Spiel. Die geschäftstüchtigen Pater des Bettelordens der
Kapuziner sind heute noch immer Betreiber der Bubenburg, auch wenn sie mittlerweile mit dem üblen Ruf der Einrichtung zu kämpfen haben und per Zeitungsinseraten um betreuungsbedürftige Kinder werben müssen. Neben der Bubenburg betreibt das SLW noch eine ganze Reihe weiterer Geschäftsmodelle, darunter das in Eigenpromotion gern als Vorzeigeeinrichtung hochgejubelte Behindertenheim Elisabethinum in Axams. Dass ECHO vor geraumer Zeit schwere Verfehlungen einer im Elisabethinum beschäftigten Nonne aufgedeckt hat, ficht das SLW nicht an. Im Zweifelsfall wurde schlicht und einfach den Betroffenen kein Glaube geschenkt und die „Prügel-Nonne“ wieder in Dienst gestellt. Noch im Herbst dieses Jahres will die Klasnic -Kommission die um ihre Patenschaften betrogenen ehemaligen Heimkinder finanziell entschädigen. Man wird sehen, ob diese Ankündigung ernst ge-meint ist oder nur einen neuerlichen Versuch darstellt, das Thema weiter zu verschleppen.
Gernot Zimmermann


 
„Kein Kind hat Geld gesehen“
Erwin Aschenwald ist nur einer jener Bubenburg-Zöglinge,
denen Patenschaftsgelder vorenthalten worden sind.

ECHO: Als Zögling des Seraphischen Liebes-werks der Kapuziner sollen Ihnen Patenschaftsgelder von „Rettet das Kind“ vorenthalten worden sein. Wie sind Sie nach all den Jahren überhaupt darauf gekommen?
Erwin Aschenwald: Ende 2010, nach Durchsicht meiner Akten aus der Bubenburg, bin ich auf dubiose Belege gestoßen: Dankschreiben des Heimleiters an Paten, eigenartige Empfangsbestätigungen für angeblich übernommenes Geld und Ähnliches.
ECHO: Uns liegen aber Belege mit Ihrem Namen vor. Sie haben diese nicht selber
unterschrieben?
Aschenwald:Bei den Belegen handelt es sich nicht um Auszahlungsbelege, sondern es sind lediglich Überweisungsbelege auf ein Konto des SLW sowie Ankündigungsschreiben des Landes Tirol, Patenschaften für mich an das SLW überweisen zu wollen. Diese tragen vereinzelt meine Unterschrift.
Gelegentlich wurde mir eine Unterschrift, angeblich fürs Jugendamt, abverlangt. Eine Auszahlung von Geld war jedenfalls nicht damit verbunden.
ECHO: Können Sie heute noch sagen, über welchen Zeitraum diese Patenschaften gelaufen sind und wissen Sie, ob es noch andere Bubenburg-Zöglinge mit Patenschaften gegeben hat?
Aschenwald:In meinem Fall sind diese Patenschaften vermutlich ab Herbst 1971 gelaufen, denn einige Monate zuvor wurde bereits ein Foto von mir angefertigt, mit dem um Paten geworben werden sollte. Damals war ich neun Jahre alt, die Patenschaften sind bis zu meiner Volljährigkeit weitergelaufen. Was die Frage nach weiteren Patenschaften meiner Heimkollegen betrifft: Ich weiß von einigen, in deren Akten sich zumindest Dankschreiben des Pater Direktor an die „lieben Paten“ finden. Geld haben aber auch diese Buben nie gesehen.
ECHO: Wie reagiert das SLW heute auf die Vorwürfe, die Patenschaftsgelder seien nie bei den Zöglingen angekommen?
Aschenwald:Ich würde mir von den heute Verantwortlichen mehr Aufrichtigkeit wünschen. Wider besseren Wissens versucht das SLW die Zahl der Betroffenen zu drücken, spricht von zwei Beschwerdeführern, obwohl sich mittlerweile mindestens ein halbes Dutzend gemeldet hat. Und noch etwas: Als Sprecher einer Gruppe ehemaliger Bubenburg-Heimkinder weiß ich, dass wenigstens jeder zweite Bub unserer Gruppe dort eine Patenschaft gehabt hat. Jeder von uns kann sich noch heute an die quartalsmäßig fälligen Bitt- und Dankschreiben an die Paten erinnern.
ECHO: Können Sie die Ihnen vorenthaltenen Patenschaftsgelder beziffern?
Aschenwald:Allein die vorliegenden Belege, hochgerechnet auf zehn Jahre, ergeben eine Summe von rund 40.000 Schilling. Zinsen über dreißig Jahre nicht miteingerechnet. 
Interview: Gernot Zimmermann



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